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Eisberge: Weiße Pracht der Ozeane

Von Hans-Jörg Müllenmeister 

Eisriesen durchpflügen jahrelang die Weltmeere, ehe sie den Schmelztod erleiden. Man sagt: Das Gletscher-Eis Grönlands „kalbt“, das Schelfeis der Antarktis bricht, und das an der Schelfkante. Im Zeitraum von 1992 bis 2017 verlor die Westantarktis zwei Billionen Tonnen Eis. Dadurch stieg der Meeresspiegel angeblich um 6 Millimeter. Einmal losgelöst, wandern Eisberge mit ungeheurer Masse über die Weltmeere.

Allein die Antarktis verliert jedes Jahr eine Eismasse von 151 Milliarden Tonnen. Aufgetaut, ließen sich damit 60 Millionen Olympische Schwimmbecken füllen. Genug, um jedem Ur-Deutschen ein eigenes Olympiabecken zu gönnen. Zur Erinnerung: Die Schelfkante ist der Übergang von der Kontinentalplatte zur ozeanischen Platte; diese Schelfplattform kann bis zu 200 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. 

Übrigens bildete sich vor etwa drei Millionen Jahren der Grönländische Eisschild: der heutige Kreißsaal unserer Eisberge. Am höchsten Punkt ist das Eis mehr als drei Kilometer dick. Das älteste Eis ist bis zu 100.000 Jahre alt.

Darüber hinaus erkunden wir hier einmal, was unter der sprichwörtlichen „Spitze des Eisbergs“ liegt und was wir über das Wesen der Eis-Kolosse erfahren. 

Weltgrößte Eis-Giganten 

Der wohl größte Eisberg, den Menschen je gesehen haben, heißt unter Glaziologen „A68“. Er brach im Jahr 2017 von der Antarktis ab und war eine Billion Tonnen schwer und 5.800 Quadratkilometer groß, also so groß wie die Insel Bali.

Damit nicht genug. 1989 brach ein Monster von einem Tafeleisberg vom Filchner-Ronne-Schelfeis ab, und zwar aus der zweitgrößten Eisplatte der Antarktis. Das Ungetüm heisst „A23a“. Mit seinen 4.000 Quadratkilometern driftet dieses Eismonster erst seit kurzem nordwärts in Richtung Südatlantik. Zuvor hatte es sich im Weddellmeer – einem Randmeer des südlichen Ozeans am antarktischen Kontinent – jahrzehntelang kaum von der Stelle bewegt. Durch sein kolossales Gewicht ruhte dieser Eis-Riese wie angewurzelt am Meeresboden. Irgendwann aber verlor er durch warme Meeresströmungen so an Gewicht, dass er den Halt am Meeresgrund verlor und sich in Bewegung setzte. Er zieht an der Nordspitze der antarktischen Halbinsel vorbei, und so könnte er weiter nordwärts demnächst mit einigem Tempo das fast menschenleere Südgeorgien erreichen. Da leben große Kolonien von Königspinguinen. Sollte er vor den Inseln auf Grund laufen, würde er sehr viel Süßwasser freisetzen und die dort lebenden und brütenden Seevögel, Pinguine und Robben von ihren Nahrungsquellen abschneiden.  

Eisberg-Varianten

Eisberge, die von Gletschern in Grönland abbrechen, sind meist unregelmäßig geformt. Antarktische Eisschelfe bringen meist große, tischähnliche Eisberge hervor (Tafeleisberge). Gefriert Eis aus Meerwasser wie das Packeis, gefrieren zuerst Eisschollen, die dann Wind und Wellen zu einem zusammenhängenden Eisgebilde vereinen. 

Dichte-Anomalie des Wassers 

Flüssigkeiten ziehen sich normalerweise zusammen; sie werden dichter, je kälter es wird. Bei Wasser gilt das nur bis vier Grad Celsius, darunter dehnt es sich plötzlich aus. Der Grund: Im festen Eis-Zustand bildet Wasser ein hexagonales Kristallgitter: Die kleinsten Bausteine des Eises – die Wassermoleküle – schließen sich bei Temperaturen unter Null Grad Celsius zusammen. Sechs Wassermoleküle bilden jeweils einen Ring, eine Art geschichtete, weiträumige Wabenstruktur. Da die Wassermoleküle im Eisgitter einen größeren Abstand zueinander haben als im flüssigen Zustand des Wassers, vergrößert sich beim Gefrieren das Volumen, d.h. Eis ist also weniger dicht und deshalb leichter als Wasser, genauer: 918 kg pro Kubikmeter, Wasser 1000 kg pro Kubikmeter und Seewasser hat eine etwa drei Prozent größere Dichte als reines Wasser wegen des Salzgehalts. Deshalb treiben Eisberge im Meer, ohne unterzugehen. Der größte Teil eines Eisbergs, nämlich etwa 85% bis 90% bleibt unter der Wasseroberfläche verborgen. Das können Eis-Monster bis zu 700 Meter sein. Klar, das Unsichtbare ist eine Gefahr für die Schifffahrt. Nach dem Untergang der Titanic 1912 durch einen Eisberg (geschätzt etwa 15 bis 31 Meter hoch und 122 Meter lang) wurde die Internationale Eis-Patrouille gegründet.

Eine Top-Kuriosität am Rande: Das Tote Meer bietet den höchsten Salzgehalt von etwa 350 Gramm pro Liter, also fast neunmal mehr als die großen Ozeane (40 g/l). Unvorstellbar, mit seinen etwa 43 Milliarden Tonnen Salz würden fiktive Eisberge darin eher zu Salzsäulen erstarren. 

 Was bewegt Eis-Ungetüme überhaupt? 

Man sollte es nicht glauben, aber bei Eis-Kolossen spielt der Wind als bewegende Antriebskraft nur zu Reisebeginn eine Rolle. Merkwürdig, die Route der Giganten durch das Südpolarmeer sind nicht zufällig, vielmehr folgen sie definierten, gebogenen Bahnen. Dabei treibt sie ihr Eigengewicht an. Der Schwerkraft folgend, „rutschen“ sie von der Südküste des Weddellmeeres in Richtung Norden. Der Grund dafür: Dort liegt der Meeresspiegel bis zu 50 Zentimeter niedriger als an der antarktischen Küste. Die Ursachen dafür sind die „schräge“ Meeresoberfläche im Verein mit der sogenannten Corioliskraft. Man kann also sagen, die Eis-Riesen „rutschen“ eher durch das Polarmeer. Diese „Rutschbahnen“ zeigen einen Linksdrall. Dabei steht die ablenkende Corioliskraft senkrecht zur momentanen Bewegungsrichtung der Eis-Giganten im rotierenden Bezugssystem der Erde. Ihre Stärke hängt also von der geographischen Breite ab. Am stärksten wirkt sie an den Polen und geht am Äquator gegen Null.  

Nur 15 Prozent der potenziellen Energie der Eisberge steckt in Bewegungsenergie. Der größte Energieanteil wird in Reibungswärme oder in Turbulenzen im Wasser umgewandelt. Nur ein Anteil von einem Prozent der Energie erzeugt eine Oberflächenwelle. Typische Antarktis-Eisberge dürften maximal vier Meter hohe Wellen auslösen. Die größten Eisberge der Welt könnten allerdings zehn Meter hohe Flutwellen bewirken. 

Das Dahinschmelzen der Eisberge 

Dass ein treibender Eisberg über der Zeit an Masse verliert, geht vor allem auf warme Meeresströmungen zurück. Während des Schmelzens kann ein Eisberg seinen Schwerpunkt verlagern, dann kippt der Koloss und dreht sich innerhalb von Sekunden um. Für Eisbären und Robben, die sich womöglich auf ihm tummeln, kann das gefährlich sein. Wieder andere Eis-Monster brechen auseinander, erhalten unregelmäßige Formen mit weiteren Erhebungen und Spitzen, die unter der Meeresoberfläche verborgen bleiben. Erstaunlich: Beim Umkippen eines Eisbergs wird so viel Energie freigesetzt wie bei einem kleinen Erdbeben in der Größenordnung von einigen Tausend Tonnen Sprengstoff TNT.

 Weißes Meereis reflektiert das Sonnenlicht und wirkt dadurch abkühlend. Das dünne, saisonale Schwarzeis – hervorgerufen durch Vulkanausbrüche, ist dagegen weitaus effizienter für den Schmelzprozess. Dieser Umstand macht den Rückgang des Meereises in der Arktis so beunruhigend. Der Anteil an Meereis in der Arktis ging inzwischen von dreißig auf wenige Prozent zurück. Eine dünne Ascheschicht aus Vulkanauswürfen absorbiert das Sonnenlicht und erwärmt das Eis. Lagen ab fünf Zentimeter Dicke wirken dagegen eher isolierend und stabilisieren die Eismasse. 

Farbige Eisberge

Normalerweise sind Eisberge weiß- oder blaugefärbt. Im Eis eingeschlossene Luftbläschen streuen das einfallende Licht und verursachen die weiße Farbe. Man sah aber schon andere Farben, wie grün und blau. Wenn Schnee abschmilzt und wieder gefriert, hat er keine Luftblasen mehr und sieht dann wie ein blauer Streifen aus. 

Die Meereis-Schichten eines Eisbergs enthalten fast 500 Mal soviel Eisen wie das darüber liegende Gletschereis. Eisenoxide haben einen rotbraunen Farbton. Beim richtigen Anteil könnte das in Kombination mit dem Eis-Blau zu einem grünen Aussehen führen. Glaziologen sagen uns genauer, woher das Eisen kommt: „Es ist zermahlenes Gestein vom antarktischen Festland, das von den Gletschern auf ihrem Weg zum Meer an der Unterseite mitgeschleppt wird, als Staub ins Meer rieselt und noch vor dem Absinken gefangen wird, wenn ringsherum das Wasser gefriert“.

Eisberge als Nährstoffquelle in den Polarzonen

Als Globetrotter der Ozeane können Eisberge unerwartet als ökologische Gärtner Nahrung für das Phytoplankton liefern. Mit ihren Sedimentschichten geben sie das Eisen als wichtigen Spuren-Dünger ab, der im Meer nur in sehr geringen Konzentrationen vorkommt. Sie transportieren Mineralien in magere Gebiete und liefern den lokalen marinen Nahrungsketten eine wertvolle Ressource. Eisberge können vor den Inseln Mineralien freisetzen, die wiederum als optimale Nahrungsgrundlage für die Unterwasserwelt dienen.

Das Element Eisen ist in weiten Teilen der polaren Ozeane rar. Nur ein kleiner Teil des Gletschereises, der mit Sediment kontaminiert ist, enthält große Mengen an Eisen, während der überwiegende Teil des sauberen Eises kaum Eisen enthält. Die Lebewesen im Meer benötigen gerade diese Nährstoffe. Das Angebot ist sehr unterschiedlich. So gibt es sowohl nährstoffreiche Küstengebiete, als auch sehr nährstoffarme Regionen im offenen Ozean. In einigen Polar-Gebieten begrenzt der Mangel an Eisen im Meerwasser das Plankton-Wachstum. Hier wären Eisberge ein wichtiger Quell für den Eisen-Eintrag, der durch die größere Eisberg-Produktion als Folge des Klimawandels zunehmen könnte. Allerdings kann das Eis eines einzelnen Eisbergs sehr unterschiedlich kontaminiert sein. Das reine Eis enthält nur Spuren von Eisen, aber Eis, das stark mit Sediment durchsetzt ist, enthält wesentlich mehr. Vor allem spielt der Ursprung und die Dynamik des „FE-dotierten“ Eises eine wichtige Rolle.

Durststillende Eisriesen, verschleppt in südliche Gefilde

Jedes Jahr brechen etwa insgesamt 100.000 Eisberge in der Arktis und Antarktis ab. Das entspricht einer Wassermenge von 250 Kubikkilometern. Einige Unternehmen haben schon lange Zähne danach, dieses riesige, ungenutzte Süßwasserreservoire zu bergen und in trockene Regionen der Welt zu schippern. Schon lange laben sich die Reichen der Welt am geschöpften Gletscherwasser. Sie zahlen für eine 0,75l-Flasche lächerlich-irrsinnige 100 Euro. 

Im goßen Stil träumt man in Südafrika und in in den Vereinigten Arabischen Emiraten davon, Eisberge als Trinkwasserreservoir zu nutzen, statt aufwendig Meerwasser zu entsalzen. Bislang blieb es beim Traum. Das Verlockende dabei ist: Herrenlose Eisberge haben keinen Besitzer. Diese Riesen-Eisbomben könnte man einfach wegschleppen, um sie in den trockenen Gegenden dieser Welt als Trinkwasser zu nutzen. Noch gebricht es am nötigen Know-how, um mittelgroße Eisriesen in Ketten zu legen und sie mit Hochseeschleppern sicher ins Zielgebiet zu manövrieren. Da warten allerdings noch weitere bisher ungelöste Probleme, ehe das eisige Naß am Zielort fließen kann. Bisher scheitern all diese Beutezüge, man steckt noch in der Planungsphase.

In der Antarktis nachgewiesenes Mikroplastik als Zeitdokument 

Im Jahr 2019 entnahmen Wissenschaftler im Ross-Schelfeis Eiskernproben. Erschreckend, denn jede der einzelnen Proben enthielt als Zivilisationsmüll Mikroplastik. Das sind biologisch nicht abbaubare, synthetische Polymere in Millimetergröße.

Was bringt die Zukunft? Die Eiskernproben haben eine Metapher zu mittelalterlischen Kerbhölzern, wo die eine Stockhälfte der Gläubiger, die andere Hälfte des Kerbstocks der Schuldner bekam, um die Schuldverhältnisse fälschungssicher über der Zeit zu dokumentieren. Daher die Redensart: Der hat was auf dem Kerbholz! Genau, das hat auch unsere naturzerstörende Gesellschaft auf dem Gewissen. Im übertragenen Sinne fungiert hier die geschändete Natur als Gläubiger und die frevelhafte Zivilisation als Schuldner.  

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