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Biophagen: Naturwaffen gegen böse Keime und Hightech-Helfer beim Recycling

Von Hans-Jörg Müllenmeister

Biophagen sind die jüngst wiederentdeckten Mikrohelfer der Menschen, die 5 vor 12-Uhr-Helfer in höchster Not, und das nicht nur im maroden Gesundheitsunwesen. Wie so oft in Wissenschaft und Forschung, bleiben wesentliche Entdeckungen gezielt unbeachtet, vergessen oder ganz auf der Strecke.

Dazu gehören „gute“ Viren. Biophagen sind dafür ein lebhaftes Beispiel. Indes setzten sich Antibiotika hartleibig bis heute gegen eine ebenso wirksame Biophagen-Therapie durch. Erst durch die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen gegenüber multiresistenten Keimen, rückte die vergessene Phagen-Forschung in Deutschland wieder als Alternative in den Fokus. 

Es besteht berechtigte Hoffnung, dass Phagen in Zukunft die selbstverursachte Geißel der Menschheit auf natürlichem Wege beseitigen können. Gemeint ist unser Zivilisationsmüll, der auf Dauer zum Erstickungstod unseres Planeten führt, also die perfekte Beseitigung von Kunststoffen und Hightech-Metallschrott ohne großen Energieeinsatz. Das wäre ein wahrer Segen. Hier könnten Biophagen Helfer in der Not sein. Noch stehen diese wenig verstandenen, winzigen „Naturburschen“ für ihren Einsatz nicht Gewehr bei Fuss. 

Eine lange Phagen-Geschichte, kurz berichtet 

Der Phage, eine Art Virus, ist die früheste und häufigste biologische Einheit auf unserer Erde. Phagen entstanden vor allem Leben. Sie entwickelten sich schon vor mehr als drei Milliarden Jahren. Als Hansdampf in allen Ökosystemen haben sie das Sagen, wo immer auch Leben existiert. Erst neulich entdeckte man sogar in den unwirklichen Meerestiefen des Marianengrabens eine neue Phagen-Familie. Diese Bewohner befallen salzliebende Tiefseebakterien (Halomonadaceae). Dabei nutzen sie zu ihrer Vermehrung die Zellteilung ihres Bakterienwirts, ohne ihn dabei zu zerstören. Diese Phagen prägen entscheidend das biologische Gleichgewicht in diesem unwirklichen Ökosystem. Sie tragen wesentlich zu den biogeochemischen Kreisläufen und dem Stoffwechsel ihrer Wirtszellen teil.

Tauchen wir wieder aus der Tiefsee auf… die Erde hat uns wieder. Ein einziges Gramm Erdboden enthält zehn hoch neun Phagen-Partikel. Man schätzt ihre Gesamtzahl auf Erden auf zehn hoch 32 mit bisher etwa 6000 bekannten Phagen-Arten. Das ist eine schier unglaubliche Biomasse. Rechnen Sie mal spaßeshalber. Diese gigantische Masse an Bakterien-Totengräbern wiegt etwa 5000-mal so viel wie das auf Erden je geförderte Gold. Nebenbei gesagt: Ein Bakterium ist ein Gigant gegenüber einer Phage, denn es ist rund hundert- bis tausendmal schwerer.  

Phagen-Struktur und wie Phagen ihren Bakterienwirt zu ihrer Vervielfältigung nutzen 

Nur weil Phagen so heißen (altgriechisch „phagein“ für essen), können diese hochspezialisierten Viren als nicht vollwertige Organismen keine Bakterien wirklich “essen“. Genauer: Diese überall auf der Welt verbreiteten Phagen-Minipäckchen aus Proteinen und Nukleinsäuren nutzen die Biochemie eines für sie geeigneten Bakteriums, um sich darin zu vermehren. Dabei finden die heimgesuchten Bakterien ihr frühzeitiges Ende. 

Erst im Elektronenmikroskop offenbart sich die Phagen-Struktur: Ein lampionähnliches Gebilde mit einem zwanzigflächigen bis 170 nm (Nanometer) großen Würfelkopf, an dem ein bis zu 230 nm langer Schwanz hängt. Dieser Kopf enthält die Erbinformation (ein doppelsträngiges DNA-Genom).

Zuerst dockt der Phage über eine spezielle Fangstruktur am Schwanzende an das bakterielle Erkennungsmolekül, dann injiziert er sein Erbgut durch den Plagen-Schwanz in die Bakterienzelle. Virulente Phagen vervielfachen sich im befallenen Bakterium. Nach getaner Zwangsarbeit platzt das Bakterium, es löst sich auf. Dabei werden hunderte neu gebildete Phagen-„Frischlinge“ freigesetzt. Temperente Phagen bauen dagegen ihr Erbgut in die Bakterien-DNA ein. So „lebt“ das heimgesuchte Bakterium weiter und vermehrt sich mit dem Erbgut des Phagen. 

Einsatz der Phagen in der Medizin 

Natürlich ist die Forschung  nicht müde geworden, um auch nach anderen Bio-Substanzen zu suchen, die vor allem das Übel Krebs bei der Wurzel packen könnten. Man fand z.B. heraus, dass einige Inhaltsstoffe in Rhododendron-Arten Krebszellen angreifen und deren Vermehrung hemmen. Die Forscher versuchen, bestimmte gegen „böse“ Bakterien  wirksame Substanzen aus dem Rhododendron im Labor nachzubauen – als Grundlage für die Entwicklung neuer Medikamente. Ein zweiter Natur-Kandidat ist die Mistel. Halbschmarotzend fühlt sie sich als immergrüner, kugelförmiger Strauch in Baumkronen wohl. Die Mistel wird in der Alternativ-Medizin begleitend zur Therapie gegen Krebs eingesetzt. Sie enthält langkettige Glyko-Proteine. Diese binden Kohlenhydrate und pflanzliche Eiweiße, die auf Krebszellen zerstörend wirken.

Neben dem Krebs ist das zweite Übel die globale Zunahme der multiresistenten Erreger. Nach einer Modellrechnung sterben 2050 weltweit vermutlich 10 Millionen Menschen an diesen todbringenden Keimen. Viele pathogene Mikroorganismen sind inzwischen gegen fast alle Antibiotika resistent. Grund dafür ist der jahrelange, oft unsachgemäße Einsatz von Antibiotika. Angesichts dieser Gefahr, kommen Phagen als Bakterien-Killer erneut als potenzielles Waffenarsenal ins Gespräch. Übrigens setzten Ärzte in den früheren Ostblockstaaten schon lange erfolgreich auf Bakteriophagen. Im kaukasischen Georgien und Russland wurde die Phagentherapie schon vor etwa 90 Jahren entwickelt. Der Kalte Krieg verhinderte, dass sich das Wissen um die Phagentherapie auch im Westen verbreitete. So heißt es jedenfalls. Bei uns galt ja Penicillin als einziges Antibiotikum. 

Eine Vielzahl multiresistenter Erreger sind bekannt. Dagegen wirkt jede Phagen-Art immer nur gegen einen bestimmten Erreger. Die Crux ist, man muss den passenden Phagen in der Natur erst finden. 

Selten-Erden-Metalle mit Phagen zurückgewinnen statt verschrotten 

Vorab: Mikrobielle Produktionsprozesse laufen zumeist in wässrigen Lösungen bei Umgebungstemperatur und unter Normaldruck ab. Das ist der gewaltige Vorteil gegenüber den meisten chemisch-synthetischen Prozessen. Damit bleiben Ressourcen und Umwelt geschont. 

Seltene Erden wie Lanthan, Terbium, Cer, Indium und Europium haben überall in unserem Alltag Eingang gefunden. Etwa in Smartphones, Plasmabildschirmen, LED-Lampen, Windenergieanlagen oder Elektromotoren. Sie alle sind zwar weit verbreitet, aber jeweils immer nur in geringen Konzentrationen in einem Gerät vorhanden. Das macht ein Rückgewinnen der Hightechmetalle so schwierig und unwirtschaftlich. 

Biotechnologen ist es erst neulich gelungen, an Phagen kurze Peptidketten – die Bausteine für Eiweiße – anzubringen. Damit lassen sich molekularbiologisch ganz unterschiedliche, winzige „Schäufelchen“ bilden, in die bestimmte Mini-Strukturen passen, also maßgeschneiderte „Angelhaken“, passend für ein bestimmtes Element aus der Seltenen Erde. 

Spezialisierte Biophagen im Mehrfacheinsatz 

Spezialisierte Phagen mit ihren selektiven Fangwerkzeugen lassen sich zudem mit feinen magnetischen Teilchen oder Styropor-Kügelchen ausstatten. So gerüstet, können sie wieder eingesammelt und für weitere Beutezüge verwertet werden, wenn man sie zuvor von ihrer „Beute“, z.B. den Hightech-Metallen getrennt hat.

Im ersten Selektionsfall durch einen Magneten, im zweiten schwimmen die Phagen an der Oberfläche, wenn man Wasser hinzugibt. Übrigens, nicht nur Eisen ist magnetisch. In der Tat haben die Atome der Seltenerden-Metalle hohe magnetische Dipol-Momente. Denken Sie an die extrem starken Neodyn-Magneten. Übrigens können mikrobiologisch aufgerüstete Phagen auch Edelmetalle wie Gold oder verschiedene Platin-Metalle mit einem anderen Trick „angeln“. Sie sind so in der Lage, die jeweiligen Metalle aus sehr verdünnten und komplexen Gemischen zu extrahieren. 

Können Phagen Kunststoffe auch direkt recyceln? 

Nein, zumindest noch nicht. Es gibt bisher auch noch keinen natürlichen Ersatzkunststoff. Allerdings gibt es einige Forschungsansätze, die sich mit der Nutzung von Phagen für den biologischen Abbau von Kunststoffen beschäftigen. Zum Beispiel haben Wissenschaftler aus den USA und China Phagen verwendet, um Bakterien zu verändern, die PET-Kunststoffe  zersetzen können. Dieser Ansatz könnte in Zukunft zu einer effektiveren Methode des Kunststoffrecyclings führen. Bisher hat man auch andere Möglichkeiten, Kunststoffe natürlich zu recyceln oder zu ersetzen. Zum Beispiel können einige Pilze und Bakterien Kunststoffe abbauen oder in Biogas umwandeln. 

Vergangenheit und Zukunft gehören den zeitlosen Phagen 

Die Phagen-Forschung hat das Potential, unsere leichtfertig verspielten Chancen im Gesundheitswesen oder in der Hightech-Industrie wettzumachen. Bemühen wir uns aktiv um unsere Zukunft – nicht gegen, sondern mit  der Natur! Sie schenkte uns den ökologischen Werkzeugkasten mit den feinsten Werkzeugen, den Halbwesen (Phagen) – perfekt geeignet, um unsere Fehler und Irrtümer an der Natur wieder wett zu machen. Allzeit gilt: „Es irrt der Mensch, solang er strebt“ das sagte Gott zu Mephisto im Faustschen Drama. Und Goethe sinnierte schon vor 200 Jahren:  

Wer in dem Gestern Heute sah, 
Dem geht das Heut nicht allzu nah, 
Und wer im Heute sieht das Morgen, 
Der wird sich rühren, wird sich sorgen.

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